Donnerstag, 12. Juni 2014

Drogensuche



Es war genauso warm. Wie heute, nur weniger schwül, als mein Kollege und ich einen seiner Patienten trafen.  Er begann ein Gespräch, es drehte sich um Unwichtiges, Essen und das Wetter. Seine Frau und die Mädchenkinder warteten geduldig. Als unser gemeinsamer Weg Richtung Ende lief, musste ich doch noch einmal fragen. 
Wie kommt es, dass Sie so schwer krank sind, rutsche es mir heraus. Sein graugrünes Gesicht leuchtete auf, als ob ihm diese Frage einen Energieschub besonderer Art geben würde, die Flasche mit dunkelgelber Flüssigkeit baumelt glücklich im Takt seiner energischen Bewegung, mit der er sich ein wenig aufrichtet und mir zuwendet. 
Da ist viel Vergnügen in ihm und auch etwas jugendlicher Schalk. Alles tauchte plötzlich auf, bei seinem Zustand wirkt es fast unwirklich. Sie dürfen ruhig fragen. Es geht um das Licht, erklärt mir seine Frau. Ich wirke verständnislos.
Er versucht zu erklären: Es geht darum, das Licht zu fangen, das abprallt. Mit den Augen. Das Licht mit den Augen zu fangen und festzuhalten, sodass der ganze Kopf glüht, voller Energie, hinter den Lidern einen Lichtball. Ich kann es mir nicht ganz vorstellen.
Seine Frau sagt, nicht irgendein Licht, es muss das Licht einer Kerze sein, das von ihr widerscheint. Manchmal, wenn man gut ist, kann man es auch direkt auffangen, direktes Licht einfangen, sagt der Mann. Das ist am besten. 
Er wirkt, als ob er es einem kleinen ahnungslosen Kind erklärt, aber er möchte es erklären, er ist es wohl  auch gewöhnt, dass ihn niemand versteht und möchte es richtig machen. Ich kann mir trotzdem nichts darunter vorstellen. In meinem Kopf habe ich ein Bild von rotem Licht hinter geschlossenen Lidern, aber so ist es wohl nicht, und wie ich es fangen soll, keine Ahnung, ehrlich gesagt.
Er wirkt glücklich, so mit sich, trotz seines Endzustandes, und seine Frau auch. Nur die Kinder sind erwachsen ernst. Ernste kleine Gesichter, die wortlos bleiben, weil sie nichts dazu sagen können.
Ich frage mich, ob er manchmal immer noch Licht fängt, und ob ihm das jetzt hilft oder seinen Zustand verschlechtert, und ich frage mich, was an diesem Licht so sehr zerstören  kann, dass er jetzt so hoch dafür zahlt. Vielleicht aber zahlt er auch nicht, vielleicht ist er nur ein wenig anders als wir, ohne Lichtaugen.
Das ist der Moment, in dem ich mir wünsche er hätte mir nicht von seinem Licht erzählt, denn jetzt werde ich mich fragen wie es wohl ist mit seinem Kerzenlicht im Kopf.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen